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Gedankenexperimente


Proseminar, Sommersemester 2010, Universität Konstanz


In Gedankenexperimenten - die in vielen naturwissenschaftlichen und philosophischen Argumentationen von zentraler Bedeutung sind - werden hypothetische, idealisierte und oft physikalisch unmögliche Szenarien imaginiert, auf deren Basis anschliessend Schlüsse über die Beschaffenheit der aktualen Welt oder über den Wahrheitsgehalt von Theorien gezogen werden. Von welcher Art sind die Erkenntnisse, die ausgehend von Gedankenexperimenten gewonnen werden können? Generieren sie genuin neues Wissen oder geht alles auf ihrer Grundlage Erschliessbare implizit als Prämissen in die Konstruktion der hypothetischen Szenarien ein, d.h. sind Gedankenexperimente nichts anderes als blumig formulierte deduktive Argumente? Wenn Ersteres, wie kann es sein, dass blosse Imaginationen neue Einsichten gewähren in kontingente Eigenschaften der Welt; wenn Letzteres, weshalb sind Gedankenexperimente von derartiger Bedeutung für den wissenschaftlichen Diskurs? Ferner: Wie unterscheiden sich Gedankenexperimente von Laborexperimenten einerseits und reinen Fiktionen andererseits? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sie funktionieren und ihren Zweck erfüllen? Welche Arten von Fragen können mit ihrer Hilfe beantwortet werden, welche nicht? Anhand zahlreicher exemplarischer Gedankenexperimente aus den Naturwissenschaften und der Philosophie und durch Auseinandersetzung mit der in den letzten Jahren enorm angewachsenen Literatur zum Thema werden wir uns in dieser Veranstaltung mit der Beantwortung solcher Fragen beschäftigen. Ziel des Proseminars soll es sein, ein systematisches Verständnis von Rolle, Funktion, Grenzen und Rechtfertigung von Gedankenexperimenten - kurz, eine Methodologie des Gedankenexperiments - zu erarbeiten.
Credits werden erworben durch die Abfassung von insgesamt 7 Kurzessays zu Fragen rund um die im Seminar diskutierten Texte. Hausarbeit möglich.
Die Textgrundlagen und Essayfragen werden auf dieser Seite zur Verfügung gestellt.


Detailliertes Programm [PDF]

1. Sitzung 14.4. / Einführung

Gedankenexperimente in den Wissenschaften

2. Sitzung 21.4. / Beispiele
  • Galileo Galilei, Unterredungen und Mathematische Demonstrationen über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend, Erster bis Sechster Tag, Darmstadt 1964 (1638), 56-60. [PDF]
  • Isaac Newton, Philosophiae naturalis principia mathematica, Darmstadt 1963 (1687), 25-31. [PDF]
  • Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung - Historisch-kritisch dargestellt, Darmstadt 1991 (1883), 48-56. [PDF]
  • Albert Einstein, Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, Braunschweig 1916, 14-19. [PDF]
  • Essayfrage

3. Sitzung 28.4. / Mittel zur Begriffsklärung
  • Thomas S. Kuhn, Eine Funktion für das Gedankenexperiment, in: Krüger, L. (Hg.), Die Entstehung des Neuen, Frankfurt a. M. 1977 (1964). [PDF]
  • Kuhn diskutiert in seinem Artikel u.a. ein Gedankenexperiment zur schiefen Ebene. Lesen Sie der Vollständigkeit halber auch noch die Originalstelle in Galileis Dialog: PDF.
  • Essayfrage

4. Sitzung 5.5. / Synthetisches Wissen a priori
  • James Robert Brown, Thought Experiments Since the Scientific Revolution, International Studies in the Philosophy of Science 1 1986. [PDF]
  • Essayfrage

5. Sitzung 12.5. / Figurative Argumente
  • John D. Norton, Are Thought Experiments Just What You Thought? Canadian Journal of Philosophy 26 1996. [PDF]
  • Essayfrage

6. Sitzung 19.5. / Konstruktivismus
  • Tamar Szabó Gendler, Galileo and the Indispensability of Scientific Thought Experiment, British Journal for the Philosophy of Science 49 1998. [PDF]
  • Essayfrage

7. Sitzung 26.5. / Mentale Modelle
  • Nancy Nersessian, In the Theoretician's Laboratory: Thought Experimenting as Mental Modeling, in: Hull, D. D. & Forbes, M. M. & Okruhlik, K. K. (Hrsg.), Proceedings of the 1992 Biennial Meeting of the Philosophy of Science Association, 2 East Lansing 1993. [PDF]
  • P. N. Johnson-Laird, Cognition, Computers, and Mental Models, Cognition 10 (1981), 139-143. [PDF]
  • Essayfrage

Fakultative Zusatzlektüre zum Begriff "mentales Modell":

  • Johnson-Laird, P.N. (2006) Mental models, sentential reasoning, and illusory inferences. In Held, C., Vosgerau, G., and Knauff, M. (Eds.) Mental Models and the Mind. New York: Elsevier. Pp. 27-52. [PDF]

Gedankenexperimente in der Philosophie

8. Sitzung 2.6. / Hirne im Tank und Ameisen, die Churchill zeichnen
  • Hilary Putnam, Brains in a Vat, in: Ders., Reason, Truth and History, Cambridge 1981. [PDF]
  • Essayfrage

9. Sitzung 9.6. / Das Chinesisch Zimmer
  • John R. Searle, Geist, Gehirn, Programm, in: Zimmerli, Walter W. & Wolf, Stefan S. (Hrsg.), Künstliche Intelligenz: Philosophische Probleme, Stuttgart 1994. [PDF]
  • Essayfrage

10. Sitzung 16.6. / Teletransport und menschliche Replikas

  • Derek Parfit, Divided Minds and the Nature of Persons, in: Blakemore, C. C. & Greenfield, S. S. (Hrsg.), Mindwaves, London 1987. [PDF]
  • Richard M. Gale, On Some Pernicious Thought-Experiments, in: Horowitz, T. T. & Massey, G. G. (Hrsg.), Thought Experiments in Science and Philosophy, Savage 1991. [PDF]
  • Essayfrage

11. Sitzung 23.6. / Mit einem Geiger verkabelt
  • Judith Jarvis Thomson, A Defense of Abortion, Philosophy and Public Affairs 1 1971. [PDF]
  • Essayfrage

12. Sitzung 30.6. / Relevanz der narrativen Details
  • Lawrence Souder, What Are We to Think About Thought Experiments? Argumentation 17 2003. [PDF]
  • Essayfrage

13. Sitzung 7.7. / Schlechte Gedankenexperimente
  • Jeanne Peijnenburg & David Atkinson, When Are Thought Experiments Poor Ones? Journal for General Philosophy of Science 34 2003. [PDF]
  • Essayfrage

14. Sitzung 14.7. / Abschlussdiskussion