Dr. Peter Szczekalla

Allgemeine Rechtsgrundsätze

in: Hans-Werner Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und
deutschen Umweltrecht (EUDUR),
Bd. I, § 11, Köln/Berlin/Bonn/München 1998, S. 274-314

Ergänzungen zu Rechtsprechung und Literatur mit der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union

"Online-Zwischen-Update" mit Links

(Stand: 13.12.2000)

D.            Grundrechtscharta

63        Die künftige konkrete Gestalt gemeinschaftsrechtlicher Grundrechte wird auf absehbare Zeit von der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) geprägt werden.[245] Einzelheiten zur noch jungen Entstehungsgeschichte, zur - im Einzelnen ungeklärten - (Bindungs-) Wirkung und zu den umweltrelevanten grundrechtlichen Gewährleistungen werden im Zusammenhang mit den Grundrechten erörtert (§ 12 Rn. 71 ff.). Die Charta enthält aber auch einige Vorschriften, welche im Gemeinschaftsrecht - bisher - als objektive allgemeine Rechtsgrundsätze begriffene Rechtssätze ausformulieren (§ 12 Rn. 1; § 11 Rn. 3). Auf sie ist im Folgenden in der gebotenen Kürze und im umweltrechtlichen Kontext einzugehen:

64         Nach Art. 41 GRC hat jede Person ein Recht auf gute Verwaltung. Abs. 1 der Vorschrift enthält zunächst einen Anspruch darauf, dass die Angelegenheiten des Einzelnen von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Diese Vorschrift findet auch im Umweltbeschwerdeverfahren[246] vor der Kommission Anwendung. Jegliche Gemeinschaftsverwaltungstätigkeit mit Umweltbezug, z.B. im Umweltbeihilferecht, erfährt so eine deutliche rechtsgemeinschaftliche Fundierung und Konkretisierung. Im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts (s. Art. 51 GRC;[247] zum Problem: o. Rn. 37 ff.; § 12 Rn. 30 ff.) dürfte das "Recht auf gute Verwaltung" trotz des engen Wortlauts der Norm auch gegenüber den mitgliedstaatlichen Behörden geltend gemacht werden, wenn diese europäisches (Umwelt-) Recht vollziehen (Fallgruppen des indirekten, unmittelbaren oder mittelbaren Vollzugs, s.o., Rn. 37). Ansonsten müsste der - allgemeine - Grundsatz der Rechtsgemeinschaftlichkeit unmittelbar herangezogen werden, wobei dessen Auslegung schwerlich ohne Berücksichtigung des Art. 41 GRC erfolgen könnte, dem insoweit eine bedeutsame Indizfunktion für die konkrete Gestalt rechtsgemeinschaftlicher Grundrechtsgehalte beizumessen ist. Denn gerade die - beispielhafte - Konkretisierung in Abs. 2 der Vorschrift (rechtliches Gehör vor nachteiligen, individuellen Maßnahmen, Zugang zu Akten,[248] Begründungspflicht[249])schafft insoweit Transparenz und (relative)[250] Rechtssicherheit. Außerdem dürften diese Ausprägungen den Mindeststandard modernen (gemeineuropäischen) Verwaltungs(verfahrens)rechts darstellen.[251]

65        Kapitel VI der Charta enthält verschiedene justizielle Rechte. Von Bedeutung ist insbesondere das detailliert ausformulierte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht in Art. 47 GRC, welches sich an Art. 6 und 13 EMRK anlehnt. Vor Gericht muss die jeweilige Sache u.a. innerhalb angemessener Frist verhandelt werden (Abs. 2). Darüber hinaus wird ein Recht auf Prozesskostenhilfe gewährt (Abs. 3). Die justiziellen Rechte enthalten jedenfalls keine Beschränkung auf Verfahren vor der institutionellen Gemeinschaftsverwaltung bzw. -gerichtsbarkeit. Insofern könnte im Umkehrschluss angenommen werden, dass das Recht auf gute Verwaltung (vor.Rn.), welches sich ausdrücklich nur auf die Organe und Einrichtungen der Union bezieht, insoweit abschließend ist. Die unterschiedliche Formulierung in der Charta beruht allerdings lediglich darauf, dass der EuGH bei den justiziellen Rechten bereits positiv über ihre Geltung vor den mitgliedstaatlichen Verwaltungen und Gerichten als funktionellen Gemeinschaftsverwaltungen und -gerichten im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts entschieden hat (s.o., Rn. 8). Eine solche Entscheidung ist jedenfalls auch für das "Recht auf gute Verwaltung" nicht ausgeschlossen. Schließlich lässt sich die Einbeziehung der Mitgliedstaaten über eine Anwendung der allgemeinen Vorschrift zum Anwendungsbereich der Charta in Art. 51 rechtfertigen.



[245] CHARTE 4487/00 CFR/wk 1 JUR DE, ENTWURF DER CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION, Fundamental.rights@consilium.eu.int, Brüssel, den 28. September 2000 (OR. fr) CHARTE 4487/00, abgedruckt im Anhang zu § 12 und in EuGRZ 2000, 554 ff. (mit den Erläuterungen des Präsidiums v. 11.10.2000, CHARTE 4473/00 CONVENT 49, ebd., 559 ff.). S.a. die Sonderbeilage zu NJW, EuZW, NVwZ und JuS 2000 mit den Erläuterungen und mit einer Einführung von Meinhard Hilf, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

[246] Zum darüber hinaus gehenden Recht auf Befassung des Bürgerbeauftragten s. Art. 43 GRC. Zum - allgemeinen - Petitionsrecht vgl. Art. 44 GRC.

[247] Vgl.d. Christoph Grabenwarter, Die Charta der Grundrechte für die Europäische Union, DVBl. H. 1/2001 (i.E.), S. 2 f. d.Ms., II.

[248] Vgl.a. die allgemeine Vorschrift des Art. 42 ("Zugang zu Dokumenten"), betr. das EP, den Rat und die Kommission, die auf Art. 255 EGV n.F. basiert.

[249] S.a. Art. 253 EGV (ex 190).

[250] Relativ deshalb, weil bei der Versagung von Akteneinsicht aus Gründen der Vertraulichkeit oder des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses immer Abwägungsentscheidungen zu treffen sind (s.o., Rn. 52).

[251] Ebenso Hilf (Fn. 245), S. 6 Sp. 1 a.E.





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