Steinzeit-Sternwarten in Osnabrück?



Artikel aus: "Der Osnabrücker Bürger", 69, 1993:

Steinzeit-Sternwarten in Osnabrück?

Die Astronomie wird häufig als die älteste Wissenschaft
bezeichnet. Doch wie weit lassen sich die Anfänge der
Sternenkunde zurückverfolgen? Eine ganz wesentliche
Änderung in der Entwicklung des Menschen gab es in der
Jungsteinzeit. Bestritt der Mensch vorher seinen
Lebensunterhalt durch die Jagd von Tieren und das
Sammeln von Früchten, so begann er in dieser Zeit mit
dem Ackerbau. Für die Festlegung von Saat- und
Ernteterminen war ein Kalender notwendig, der am Lauf
der Gestirne abgeleitet werden konnte. Allerdings ist
dies schwierig nachzuweisen, da aus der Zeit keine
schriftlichen Dokumente überliefert sind. So ist man
auf indirekte Schlüsse angewiesen. Immer wieder werden
die Grossstein- oder Megalithbauten aus dieser Epoche
als Sternwarten interpretiert. Eine stark ideologisch
geprägte Blüte erreichte die "germanische Astronomie"
in den zwanziger und dreissiger Jahren. In Osnabrück
glaubte der Rektor Gustav Friedrichs Abbildungen von
Gestirnen und Sternbildern auf den Steinen der
Megalithgräber gefunden zu haben, und Runen sollten
astronomischen und kalendarischen Inhalt haben. Doch
die Zeichnungen waren wohl der Phantasie Friedrichs'
entsprungen und bereits damals heftig umstritten.

Häufig wird die Ausrichtung der Grosssteingräber zu Auf-
oder Untergangspunkten heller Gestirne als Beweis für
astronomische Kenntnisse der Jungsteinzeitvölker
herangezogen. Bekannteste Beispiele sind Stonehenge in
Südengland und die Steinreihen in der Bretagne. Für den
Osnabrücker Raum behauptete Friedrichs, dass die
Teufelssteine in Lüstringen um 60 Grad westlich von Süden
ausgerichtet seien. Längs dieses Grabes hätte vor 3600
Jahren der Untergang des hellsten Sternes am Himmel,
Sirius, beobachtet werden können. Doch die Messung mit
einem einfachen Kompass zeigt, dass die Teufelssteine um
83 Grad gegen Süden abweichen und damit fast in ost-
westlicher Richtung ausgerichtet sind. In dieser
Richtung kann Sirius nie auf- oder untergehen, sondern
nur weiter südlich.

Um zuverlässigere Informationen zu erhalten, wurde eine
genauere Untersuchung der Ausrichtung von
Grosssteingräbern gestartet. Zunächst wurden mit einem
Kompass die Richtungen der Eingänge von etwa 50
Grosssteingräbern in der Bretagne, einem Zentrum der
Megalithkultur, gemessen. Und hier zeigte sich, dass
fast alle Zugänge nach Südosten ausgerichtet sind. In
dieser Richtung geht die Sonne zum Winteranfang auf. Da
die Sonne in der Folge wieder höher wandert, wird der
Zeitpunkt auch häufig (z.B. bei Naturvölkern) als ihre
Wiedergeburt interpretiert. Vielleicht symbolisierte
das Licht der aufgehenden Wintersonne in der Grabkammer
für die Steinzeitmenschen eine Wiedergeburt der Toten.

Für 44 Langgräber des Osnabrücker Raums ergab sich ein
anderes Ergebnis: sie sind vor allem in Ost-West-
Richtung orientiert. Der Zugang war wohl immer auf der
südlichen Langseite, zeigte also fast immer nach Süden.
Eine ähnliche Ausrichtung war bereits früher von
Berliner Astronomen für fast 100 Megalithgräber in
Mecklenburg gefunden worden. Im norddeutschen Bereich
zeigen die Eingänge also in die Richtung, in der die
Sonne ihre höchste Stellung erreicht. Damit haben die
Menschen vor 5000 Jahren keine übertrieben genaue
Sternwarten gebaut, aber offenbar haben sie den Lauf
der Sonne über den Himmel sehr genau verfolgt, eine
Kenntnis, die vielen Menschen unserer heutigen Zeit
verloren gegangen ist.
Die genauen Ergebnisse der Untersuchungen sind in den
Osnabrücker Naturwissenschaftlichen Mitteilungen für
1991 und 1992 erschienen.
                            A. Hänel


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